Das Buch fängt stark an. Der Spannungsbogen rast nach oben, aber sinkt ab der Hälfte wieder ab ohne jemals die Spitze erreicht zu haben. In dieser Geschichte gibt es so viele verpasste Chancen. Zum Beispiel: Hätte eine Mutter wirklich so schlaff und gleichgültig reagiert? Nein! Die Mutter hätte sie angezeigt. Es wäre vor Gericht gegangen. Wie würde ein Gericht entscheiden? Hätte Junie eine mildere Strafe bekommen, hätte sie von einer weisen Person kopiert? Wie geht das Gesetz in diesem speziellen Fall mit Rassismus um? Kann man hier überhaupt von Rassismus sprechen?
Oder auch die Frage ob Athena wirklich eines natürlichen Todes gestorben ist oder ob Junie für ihren Tod verantwortlich ist, um das Manuskript stehlen zu können. Das hätte man ausbauen können. Hätte diese Frage sich durch das gesamte Buch gezogen, wäre es spannend gewesen. Es hätte auch die Wichtigkeit der Themen, wie kulturelle Aneignung, marginalisierte Gruppen (etc.) und wie sie im Verlagswesen bzw. auf der ganzen Welt benachteiligt werden, mehr hervorgehoben. Würde die weiße Junie echt so weit gehen ihre asiatische Freundin umzubringen, um von ihr zu profitieren, weil sie weiß, dass diverse Geschichten funktionieren? Mord aus Neid und Habsucht und dann auch noch rassistisch motiviert? Das wird zwar angeschnitten, aber es sticht keineswegs hinaus. Die mittleren Kapitel sind eine einzige Wiederholung der Ereignisse: Junie veröffentlicht ein Buch, sie hat Erfolg, sie feiert sich selbst, sie wird gecancelt, sie verliert sich in Selbstmitleid. Und nochmal das gleiche mit der Novelle.
Auch das mit Athenas Geist hätte man mehr ausbauen können. Junie verliert sich in einer Psychose vor lauter Schuldgefühlen. Was kann Schuld in uns auslösen? Wie kann unsere Psyche sich verändern wenn wir tiefe Schuld verspüren?
Das Ende ist grundsätzlich gut. Das mit Candice macht Sinn. Nur kam es mir so vor als hätte man die Fäden etwas geschmeidiger zusammenführen müssen. So wirkt das Ende etwas dahin geklatscht.
Ich bin sehr enttäuscht. Am Anfang war ich echt gleich nach der ersten Seite gefesselt. Ich hab mich so gefreut. Schade.
Was echt gut war, war das Gendern. Das Buch zeigt auf eine elegante Weise, dass gendergerechte Sprache in einen Text eingewebt werden kann, ohne den Lesefluss zu stören oder das Verständnis zu beeinträchtigen.