Erwartungen aufs Schärfste übertroffen.
Diese Serie erzählt nicht nur die Geschichte des komplexesten Fantasy-Legendariums der Welt weiter, sondern ihre etlichen Handlungsstränge lassen auch Platz für Deutungen.
Tolkien sagte einmal, er liebe die "Geschichte, ob wahr oder erfunden, in ihrer vielfältigen Anwendbarkeit". Hier nur einige Beispiele für diese:
Nori, eine junge Harfuß, ist mit ihrem abenteuerlustigen, wissensbegierigen, neugierigen Charakter im Prinzip das komplette Gegenteil eines normalen Hobbits.
Die rigorosen gesellschaftlichen Zwänge und Regeln ("Niemand verlässt den Pfad, niemand wandert allein") verbieten es der Protagonistin jedoch, ihre Neugierde auszuleben. Die Gesellschaft der Hobbits, in die sie hineingeboren wurde, ist in gewisser Weise fundamentalistisch und absolut nicht darauf ausgelegt, dass mit einem Wechsel der Auswirkungen der Umwelt sich auch eine Gesellschaft wandeln muss. Die Hobbits versuchen aus der Welt, die Gefahren, Risiken und Unbehagen in ihrer Befürchtung für sie birgt, ein für alle Mal mit einem festgeschriebenen Plan zu flüchten.
Die große filmische Botschaft für jeden in einer vergleichbaren Situation Noris: Das Folgen seines Schicksals, seiner Bestimmung. Das Emanzipieren aus dem gesellschaftlichen Gefängnis, denn wenn man nicht den Mut hat, dieses zu verlassen, wird man immer unglücklich sein. Das Vertrauen auf sein Gefühl, auf die Intuition, wobei Selbstzweifel nur natürlich sind.
Die Liebesgeschichte zwischen Arondir und einer Frau aus der Südlande knüpft ebenfalls an ein zeitloses Thema an: Die Verhinderung der Liebe aufgrund zweier unterschiedlicher Kulturen. Elb und Mensch können sich wie Jude und Palästinenser, Theist und Häretiker, Kommunist und Faschist nicht vereinigen.
Die Werte von Freundschaft und Pflicht, Güte und Boshaftigkeit, Treue und Egoismus, Vergangenheit und Eigenbestimmung, Einfachheit und Mut, Tapferkeit und Verzweiflung, Loyalität und Unabhängigkeit und viele weitere verschmelzen hier geradezu.
Einziger Kritikpunkt: Die Pilot-Funktion des Startes der ersten beiden Folgen war etwas verworren und langatmig. Hier hätte der Serie, die jedoch schnell und exponentiell an Fahrt aufnahm, mehr Spannung geholfen.
Die visuellen und auditiven Effekte sind erstklassig, herausragend, geradezu ein Geschenk für die Augen (von Númenors Baukunst kann man nur träumen). Die allermeisten Schauspieler machen ihren Job richtig gut; nur manchen Elben fehlt ihre besondere Eleganz und Ästhetik, etwa dem Herrscher der Hochelben Gil-Galad oder etwa Galadriels Soldat (nur erste Folge).
Um kurz noch Worte zum Plot loszuwerden: Die Handlungsstränge sind durchgehend packend und ergänzen sich gut.
GESAMTBEWERTUNG:
Sehr gut. Sehenswert für HdR-Fanatiker ebenso wie für begeisterte Analytiker. Schulnote 1.