Netflix ist nach meiner Einschätzung spätestens 2021 zu einer öden Wüste verkommen, gefühlte 95 Prozent des Angebots sind B-Serien und B-Filme, doch manchmal stösst man in den Weiten des Ödlandes ganz unvermittelt auf eine echte Trouvaille, die so hervorragend gemacht ist, dass man fast bis zum Morgengrauen am Bildschirm kleben bleibt. Squid Game ist eine solche Produktion, allerdings ganz und gar nicht der romantischen und schönen Art und ganz weit weg vom Massenangebot aus Krimis, Agenten-Thrillern, Ausserirdischen, Spukschlössern und Adventure-Stories entfernt. Man kann vieles in diese Serie hineininterpretieren, zum Beispiel die mögliche furchtbare Konsequenz eines ausufernden Kapitalismus. Aber mit Kapitalismus mitsamt seinen Gewinnern und Verlierern hat Squid Game wirklich nur am Rande zu tun, im Kern geht es um das Wesen von uns Menschen, um unseren Egoismus, unsere Illusionen und Hoffnungen, um den unter gewissen Umständen äusserst brutal geführten Kampf jedes Einzelnen ums eigene Überleben, um Zweckbündnisse auf Zeit, wo diese zum eigenen Vorwärtskommen vorteilhaft erscheinen oder aber von der "Spielleitung" angeordnet werden. Der Mensch als eine Bestie, als Individuum oder als Teil einer Gruppe, jeweils Opfer und Täter zugleich, ohne Unterschied ob männlich oder weiblich, ob alt oder jung. Die in der filmischen Fiktion gezeigten Kremationsöfen sind nicht das Einzige, was ganz bewusst an ein Vernichtungslager wie etwa Auschwitz erinnern soll. Die roboterhaft und völlig gefühllos wirkenden Wachen, die skrupellosen Exekutoren, das Ausweiden halb oder ganz toter Menschen zwecks Verkauf der entnommenen Organe, und über allem eine diskret im Hintergrund agierende Lagerleitung, die sich an dem von ihr organisierten Leid der Lagerinsassen ergötzt. Auch das wiederholte Abspielen von Strauss' Walzer "An der schönen blauen Donau" jeweils zu Beginn einer Spielrunde passt voll und ganz ins Bild eines Straf- und Vernichtungslagers der verbrecherischen Nazis und der nicht minder verbrecherischen kommunistischen Gewalt-Regime u.a. der Sowjetunion, Chinas und NORDKOREAS, wo hinter den Kulissen die furchtbarsten Gräueltaten der Menscheit begangen wurden. Alles in allem ein aufwühlendes und zum Nachdenken über unsere menschliche Wesensart anregendes Schauspiel. Ausserdem spannend und aufregend vom Anfang bis zum Ende. Allerdings wunderte und schämte ich mich im Rückblick über mich selber, dass ich ob der absehbaren faktischen Hinrichtung von 454 Menschen im Laufe der Handlung nicht frühzeitig empört und angewidert den Ausschaltknopf der Fernbedienung gedrückt hatte, sondern fasziniert bis am Ende dran blieb. Ich bin eben auch nur ein Mensch...