Als ich das Buch angefangen habe zu lesen, weil ich einen Deutschkurs bekommen habe, dachte ich auch zuerst... was ist das denn? Ich habe erst einmal keinen Zugang bekommen und konnte es nicht fassen.
Da die Autorin aber eine gefeierte Autorin ist und meine belesene Frau das Buch sehr gut fand (Erpenbeck hat gerade den internationalen Booker-Preis für "Kairos" erhalten), bezog ich meinen ersten Eindruck auf meine Dummheit.
Viele der Rezensenten auf dieser Seite scheinen leider in diesem Zustand stecken geblieben zu sein, allerdings beziehen sie ihr Unverständnis nicht auf sich selbst, sondern auf das Buch. Das ist genauso einfach wie einfältig. Sie denken wahrscheinlich, Literatur muss so wie TicToc funktionieren, dabei verblödet man in seinem eigenen Algorithmus, der nur die eigenen Grenzen befriedigt. Aber manchmal braucht es Anregungen und ein bisschen (oder viel) Arbeit, um sich Zugänge zu Kunst zu verschaffen. Weiterentwicklung und Erfahrung gibt es nicht gratis.
Und was ist erhebender und wertvoller als gute Kunst?
Ich habe mich also mit allen Hilfen, die gerade so angeboten werden, eingedeckt. Das Klett-Arbeitsheft ist m.A.n. das beste. Und irgendwann hat es funktioniert. Ich habe plötzlich vieles verstanden und hatte ein Aha-Erlebnis nach dem anderen. Es wäre schön, wenn den Lehrer*innen das genauso gehen könnte. Ich gebe zu, die Vermittlung an Schüler*innen ist dabei noch eine ganz andere Nummer.
Das Buch enthält viele Zumutungen, es ist eine Herausforderung für ungeübte Leser, aber es lohnt sich. Eigentlich nimmt der Aufbau auf unsere geringe Aufmerksamkeisspanne Rücksicht. Die Geschichten sind sehr komprimiert, sehr dicht, sehr tief empfunden und relativ kurz. Man sieht die Welt mit anderen Köpfen und versetzt sich in unterschiedlichste Lebensgefühle und Schicksale, die zum Teil extrem sind. Das ist Erbenbeck meisthaft gelungen. Das Buch ist allerdings nicht lustig, sondern zeigt, wie schlimm Menschen miteinander umgehen können, in jedem Lebensalter, in unterschiedlichen Gesellschaftsformen. Wenn ich mir die Pöbel-Rezensionen hier ansehe, wird deutlich, wie aktuell das Buch ist. Populismus im Netz wohin man schaut. Wie wäre es, wenn man im Netz nichts mehr sagen würde, ohne es vernünftig und klar zu begründen? Da wäre erst einmal alles ganz ruhig.